MDK Begutachtung Pflegegrad Einstufung

Begutachtung durch den Medizinischen Dienst zum Pflegegrad – warum dieser Termin über Leistungen der Pflegekasse entscheidet

Die Begutachtung durch den Medizinischen Dienst (MD, früher MDK) oder – bei Privatversicherten – durch Medicproof bestimmt verbindlich Ihren Pflegegrad. Von dieser Zahl hängt ab, wie viel Geld Sie monatlich von der Pflegekasse erhalten, welche Sachleistungen (zum Beispiel Einsätze eines ambulanten Dienstes) übernommen werden und ob Zuschüsse für ein Pflegebett, einen Treppenlift oder den Badumbau fließen.

Gleichzeitig ist eine MDK-Begutachtung emotional belastend: Die eigene Hilfs­bedürftigkeit muss offengelegt, intime Fragen zur Alltagsbewältigung müssen beantwortet und häufig auch Schwächen demonstriert werden.

Viele Betroffene neigen aus Scham dazu, Probleme herunter­zuspielen – mit dem Ergebnis, dass der tatsächliche Hilfebedarf im Gutachten nicht erscheint. Dieser Leitfaden führt Sie Schritt für Schritt durch den gesamten Prozess – von der Antragstellung über das Pflegetagebuch bis hin zum Widerspruch – und zeigt, wie Sie sich optimal vorbereiten.


Was ist die MDK-Begutachtung?

Die Pflegekasse beauftragt den MD, Ihre Selbst­ständigkeit in sechs Lebensbereichen („Module“) zu prüfen. Ein speziell geschulter Gutachter besucht Sie nach Terminankündigung in Ihrer Wohnung oder – in Ausnahmefällen – in der Einrichtung, in der Sie leben.

Die eigentliche Begutachtung dauert meist 60 – 90 Minuten. Anders als bei einer ärztlichen Untersuchung gibt es weder Blutabnahmen noch bildgebende Verfahren. Der Gutachter beobachtet vielmehr, wie selbstständig Sie alltägliche Aufgaben erledigen.

Der Bewertungsmaßstab ist das Neue Begutachtungs-Assessment (NBA). Seit 2017 ersetzt es die alten Pflegestufen und vergibt Punkte auf einer Skala von 0 bis 100. Entscheidend ist der Grad Ihrer Selbstständigkeit, nicht primär die Diagnose. Zwei Menschen mit derselben Erkrankung können sehr unterschiedlich eingestuft werden, wenn der eine noch alleine essen kann und der andere nicht mehr.

Pflegestufen vs. Pflegegrade – ein kurzes Update

Bis Ende 2016 gab es drei Pflegestufen. Mit dem Pflege­stärkungs­gesetz II wurden sie am 1. Januar 2017 durch fünf Pflegegrade ersetzt, damit insbesondere kognitiv eingeschränkte Menschen besser berücksichtigt werden. Pflegegrad 1 beschreibt „geringe Beeinträchtigungen“, Pflegegrad 5 „schwerste Beeinträchtigungen mit besonderen Anforderungen“.

Sollten Sie noch alte Broschüren oder Internetbeiträge finden, in denen von Pflegestufen gesprochen wird, denken Sie daran, die Angaben in das aktuelle System umzurechnen.


Die sechs Bewertungsmodule des MDK im Überblick

ModulGewichtungWas wird beurteilt?Beispielhafte Gutachter-Fragen
1 Mobilität10 %Positionswechsel, Gehen, Treppensteigen„Können Sie ohne Hilfe vom Bett in den Sessel wechseln?“
2 Kognitive & kommunikative Fähigkeitenhöherer Wert von Modul 2 oder 3 fließt mit 15 % einOrientierung, Entscheidungen, Verständigung„Wissen Sie, welcher Wochentag heute ist?“
3 Verhaltensweisen & psychische ProblemlagenUnruhe, Aggression, Ängste„Benötigen Sie nachts häufig Beruhigung?“
4 Selbstversorgung40 %Körper­pflege, An-/Aus­kleiden, Essen, Ausscheidung„Brauchen Sie Hilfe beim Duschen?“
5 Krankheits- bzw. therapie­bedingte Anforderungen20 %Medikation, Verbände, Dialyse„Wer richtet Ihre Medikamente?“
6 Gestaltung des Alltags & soziale Kontakte15 %Tages­struktur, Kontakte, Hobby­pflege„Gehen Sie alleine spazieren?“

Merksatz: Selbstversorgung zählt am stärksten – unterschätzen Sie das Modul 4 niemals. Gerade hier werden in der Praxis die meisten Punkte erzielt oder verschenkt.

MDK Berechnung der Punkte: So wird gerechnet

Innerhalb jedes Moduls bewertet der Gutachter einzelne Aktivitäten auf einer Vier-Stufen-Skala:
0 = selbstständig 1 = über­wiegend selbstständig 2 = über­wiegend unselbstständig 3 = unselbstständig.
Die ermittelten Teilpunkte werden mit der Modul­gewichtung multipliziert und zu einer Gesamtpunktzahl addiert.

PunkteErgebnis
12,5 – 27Pflegegrad 1
27 – 47,5Pflegegrad 2
47,5 – 70Pflegegrad 3
70 – 90Pflegegrad 4
90 – 100Pflegegrad 5

Typische Fragen des MDK Gutachters

Vorsicht: Versuchen Sie nicht, Antworten auswendig zu lernen. Ziel ist, den tatsächlichen Alltag realistisch darzustellen.

Modul 1 – Mobilität

  • „Schaffen Sie es, fünf Meter ohne Hilfe zu gehen?“
  • „Wie steigen Sie ins Bett ein und aus?“
  • „Benötigen Sie eine Armlehne, um aufzustehen?“

🚩 Tipp: Wenn Sie Hilfsmittel nutzen (Rollator, Haltegriff), erläutern Sie, welche Probleme ohne das Hilfsmittel auftreten würden.

Modul 2 – Kognition

  • „Erkennen Sie Ihre Wohnung auf einem Stadtplan?“
  • „Können Sie die Dosierung Ihrer Medikamente erklären?“

Beispiel: Frau M. verwechselt regelmäßig Morgen- und Abendtabletten. Ihre Tochter richtet deshalb täglich eine Tablettenbox. Ohne diese Hilfe bestünde Über- oder Unter­dosierungs­gefahr.

Modul 3 – Verhalten

  • „Gab es in letzter Zeit Verwirrtheits- oder Angstzustände?“
  • „Kommt es zu Weglauftendenzen?“

Auch die Belastung der Pflegenden (z. B. gestörte Nachtruhe) wird berücksichtigt.

Modul 4 – Selbstversorgung

  • „Wer wäscht Ihre Haare?“
  • „Brauchen Sie Unterstützung beim Essen, etwa beim Zerkleinern der Mahlzeit?“

Messen Sie Zeiten! Ein An- und Auskleiden mit Kompressions­strümpfen dauert häufig 20 – 30 Minuten.

Modul 5 – Therapie­bedingte Anforderungen

  • „Wer kontrolliert Ihren Blutzucker?“
  • „Wie oft müssen Verbände gewechselt werden?“

Häufige oder aufwendige Maßnahmen (z. B. Inhalationen, Katheter­wechsel) erhöhen die Punktzahl.

Modul 6 – Alltags­gestaltung

  • „Brauchen Sie eine Erinnerung für Termine?“
  • „Wie organisieren Sie Ihre Einkäufe?“

Telefonate mit Ärzten, Rezept­bestellungen oder Apotheken­fahrten zählen als Hilfebedarf.


Schritt-für-Schritt-Vorbereitung auf den Termin

Viele Einstufungen liegen unter dem tatsächlichen Bedarf, weil Betroffene Leistungen herunterspielen. Die folgenden Schritte helfen, systematisch nichts zu vergessen.

1. Frühzeitig Pflegetagebuch führen

Ein Pflegetagebuch ist keine Literatur, sondern eine strukturierte Zeiterfassung.

  1. Spalte 1 – Datum & Uhrzeit
  2. Spalte 2 – Tätigkeit (bspw. Rasur, Haarwäsche)
  3. Spalte 3 – Dauer in Minuten
  4. Spalte 4 – Helfende Person

Führen Sie das Tagebuch mindestens 14 Tage, besser drei Wochen, um gute und schlechte Tage abzubilden. Pflegekassen akzeptieren handschriftliche Notizbücher oder Excel-Ausdrucke.

Datum / UhrzeitTätigkeitDauerHelfer
02.07., 07:30Ganzkörperwäsche im Bett25 minEhemann
02.07., 12:00Mittagessen anreichen20 minAmbulanter Dienst
02.07., 18:00Insulininjektion5 minTochter

2. Checkliste Unterlagen für das MDK Gutachten – alles griffbereit

UnterlageWarum wichtig?Quelle
Aktuelle Arztbriefebelegen Diagnosen & TherapienHaus-/Facharzt
Medikamentenplanzeigt Therapieaufwand & NebenwirkungenHausarzt, Apotheke
Berichte des Pflegedienstesobjektive PflegedokumentationPflegedienstleitung
Behinderten- oder Schwer­behinderten­ausweisweist Zusatzbedarfe nachVersorgungsamt
Reha- oder Entlassungsberichtebeschreiben funktionelle EinschränkungenKlinik
Hilfsmittelliste (Rollator … )veranschaulicht benötigte HilfenEigenes Verzeichnis
Pflegetagebuchbelegt tatsächlichen Zeitaufwandselbst erstellt
Ansprechpartner-Listeermöglicht Rückfrageneigene Notizen

👉 Praxis-Hinweis: Ordnen Sie Unterlagen chronologisch, jüngste Befunde zuerst. So findet der Gutachter schneller relevante Informationen.

3. Wohnumfeld vorbereiten

  • Gute Beleuchtung einschalten
  • Hilfsmittel nicht wegräumen
  • Angehörige oder Pflegekraft als Zeugen einplanen
  • Haustiere in einen anderen Raum bringen

Ein realitätsnaher Eindruck ist wichtiger als eine blitzblanke Musterwohnung.

4. Tag des Besuchs

  1. Authentisch bleiben. Zeigen Sie Grenzen statt Stärken.
  2. Präzise antworten. „In fünf von sieben Tagen brauche ich Hilfe beim Duschen.“
  3. Pflegetagebuch aktiv vorlegen. Weisen Sie auf repräsentative Daten hin.

Nach dem Termin gönnen Sie sich Ruhe – der Besuch ist anstrengend.


Ablauf der MDK Begutachtung – Schritt für Schritt

  1. Vorstellung & Ausweis des Gutachters
  2. Anamnese-Gespräch (Krankheiten, Medikamente, Alltag)
  3. Mobilitätstest (Aufstehen, Gehen, ggf. Treppe)
  4. Kognitive Checks (Datum, Mini-Mental-Test, Uhr-Test)
  5. Beobachtung der Selbst­versorgung (Wasch-/Anziehprobe)
  6. Wohnumfeld & Hilfsmittel (Pflegebett, Haltegriffe, Licht)
  7. Zusammenfassung & Verabschiedung

🔎 Dauer: 60 – 90 Minuten. Digitale Fotos (etwa vom Pflegebett) sind zulässig, müssen aber angekündigt werden.


Besonderheiten bei der Medicproof-Begutachtung (Private Pflegepflichtversicherung)

  • Identisches Begutachtungsinstrument wie beim MD
  • Terminankündigung meist telefonisch und schriftlich
  • Gutachter sind häufig freiberufliche Ärzte
  • Widerspruchs­frist: 1 Monat ab Bescheiddatum

Für Sie macht es keinen Unterschied, ob MD oder Medicproof – alle rechtlichen Vorgaben gelten gleichermaßen.


Häufige Fehler – und wie Sie sie vermeiden

  1. Bagatellisieren: „Das geht schon.“
  2. Fehlende Unterlagen am Begutachtungstag
  3. Allein sein – wichtige Details gehen verloren
  4. Hilfsmittel verstecken – Eindruck unzutreffender Selbstständigkeit
  5. Erkrankung verschweigen oder Termin wahrnehmen, obwohl Sie gerade einen „guten Tag“ haben

💡 Merke: Jede Minute Hilfe zählt. Selbst das Öffnen einer Wasserflasche kann bei Arthrose unmöglich sein.


Nach der MDK Begutachtung: Bescheid prüfen & Widerspruch einlegen

Der Bescheid enthält:

  • Pflegegrad (1 – 5)
  • Gesamtpunkte (z. B. 37,9)
  • Modulbewertung (detailliert)

Prüfung in drei Schritten

  1. Vergleich mit Pflegetagebuch: Stimmen Zeiten und Tätigkeiten?
  2. Plausibilitäts-Check: Weicht ein Modul extrem ab?
  3. Fristen notieren: 30 Kalendertage für den schriftlichen Widerspruch.

Reichen Sie den Widerspruch per Einschreiben ein oder geben Sie ihn persönlich mit Empfangs­bestätigung ab. Fügen Sie neue Befunde, Fotos oder Stellungnahmen bei.

Kommt es zu einer Wiederholungs­begutachtung, verläuft diese identisch zum ersten Termin. Betonen Sie Veränderungen seitdem (z. B. Stürze, Krankenhaus­aufenthalte).


Glossar wichtiger Fachbegriffe

BegriffErklärung
NBANeues Begutachtungs-Assessment – Punkte­schema des Gutachters
PflegetagebuchTabelle, in der alle Pflegehandlungen zeitlich erfasst werden
HilfsmittelGegenstände, die den Alltag erleichtern (Rollator, Greifzange)
PflegegradKategorie, die Umfang der Pflege­bedürftigkeit beschreibt
WiderspruchFormeller Einspruch gegen den Bescheid der Pflegekasse

Fazit

Eine strukturierte Vorbereitung ist der Schlüssel zu einer fairen Einstufung. Führen Sie konsequent ein Pflegetagebuch, sammeln Sie alle relevanten Unterlagen und verstecken Sie keine Hilfsmittel. So machen Sie sichtbar, wie viel Unterstützung tatsächlich erforderlich ist – und erhalten die Leistungen, die Ihnen zustehen.


FAQ zur MDK-Begutachtung

1. Wie lange dauert es vom Antrag bis zum Gutachter­termin?
Die Pflegekasse muss den Termin innerhalb von 25 Arbeits­tagen anbieten. Befinden Sie sich schon in häuslicher Pflege und liegt ein Härtefall vor (z. B. palliatives Stadium), muss der Termin binnen einer Woche stattfinden.

2. Kann ich den Termin verschieben?
Ja. Melden Sie sich umgehend bei der Pflegekasse oder direkt beim MD-Termin­service und schlagen Sie zwei Ersatztermine innerhalb von drei Wochen vor.

3. Muss ich ein Pflegetagebuch führen?
Gesetzlich vorgeschrieben ist es nicht, doch es erhöht die Nachvollzieh­barkeit Ihres Hilfebedarfs erheblich und wird von Gutachtern positiv bewertet.

4. Was kostet die Begutachtung?
Für Versicherte ist der Besuch kostenfrei. Die Kosten trägt die Pflege­versicherung beziehungsweise bei Privat­versicherten die private Pflege­pflicht­versicherung.

5. Wie läuft der Widerspruch ab, wenn ich unzufrieden bin?
Reichen Sie innerhalb von 30 Kalendertagen einen schriftlichen Widerspruch bei der Pflegekasse ein. Begründen Sie ihn mit konkreten Punkten aus dem Gutachten und legen Sie neue Belege (etwa ärztliche Stellungnahmen) bei. Die Kasse beauftragt dann in der Regel ein Zweitgutachten.